Hintergrund
Krebs, oft als schwere Krankheit wahrgenommen, ist im Frühstadium behandelbar, was die Bedeutung einer frühen Diagnose unterstreicht. Gewebebiopsien gelten traditionell als Goldstandard in der Krebsdiagnostik. Aufgrund ihres invasiven Charakters bergen sie jedoch Risiken wie Schmerzen, Infektionen und die mögliche Ablösung von Krebszellen aus dem Tumor während der Nadelbiopsie. Jüngste Fortschritte haben die Vorteile einer weniger invasiven Option hervorgehoben: der Flüssigbiopsie. Sie erkennt Krebszellen und DNA, die aus Tumoren in den Blutkreislauf gelangen.
Integrative Cancer Care hat bereits über die bahnbrechenden Auswirkungen der blutbasierten Flüssigbiopsie auf die Krebsfrüherkennung und -überwachung berichtet. In diesem Artikel konzentrieren wir uns auf eine weniger bekannte, aber ebenso vielversprechende Methode: die urinbasierte Flüssigbiopsie. Dieses Konzept entstand aus der Entdeckung, dass Spuren von Krebszellen in Urinproben nachgewiesen werden können. Zusätzlich interessant: Studien zeigen, dass trainierte Hunde Blasen- und Prostatakrebs in Urinproben „erschnüffeln“ können (Abbildung 1). Diese Erkenntnisse unterstreichen das Potenzial von Urin als brauchbare Quelle für die Krebsfrüherkennung und erweitern den Anwendungsbereich der Flüssigbiopsie.
Abbildung 1. Stewie, ein 10-jähriger Australian Shepherd, schnüffelt seit ihrem 8. Lebensjahr im Labor an Urinproben, um Krebs zu erkennen. Quelle: Robins (2024), American Kennel Club.
Grundsätze der Urin-Biomarker
Entgegen der Vorstellung, Urin sei „Abfall“, ist er eine wertvolle Bioflüssigkeit, die routinemäßig in medizinischen Standardtests zur Diagnose von Erkrankungen wie Nierenerkrankungen, Diabetes und Harnwegsinfektionen eingesetzt wird. Der Hauptvorteil von Urintests liegt in der nicht-invasiven Entnahmemethode, die selbstständig und schmerzfrei durchgeführt werden kann und so eine höhere Patientenakzeptanz gewährleistet. Dadurch eignen sich Urintests besonders für die regelmäßige, langfristige Überwachung und Früherkennung, die wichtige Strategien zur Erkennung von Krebs in seinen frühesten und am besten behandelbaren Stadien darstellen.
Wachsen oder sterbende Krebszellen geben DNA-Fragmente und andere Zellbestandteile in den Blutkreislauf ab. Diese Bestandteile werden dann von den Nieren gefiltert, wobei kleinere Moleküle über die sogenannte transrenale Ausscheidung in den Urin gelangen. Tumoren des Urogenitaltrakts können Zellfragmente zudem direkt in den Urin abgeben. Aufgrund dieser Mechanismen sind zwei Arten von Tumor-DNA im Urin vorhanden: (i) niedermolekulare DNA aus transrenaler Ausscheidung und (ii) hochmolekulare DNA aus der lokalen Ablösung von Zellfragmenten. Aufgrund der unterschiedlichen Molekulargewichte reichert sich erstere im Urinüberstand (oberer Teil) an, während sich letztere im Urinsediment (unterer Teil) absetzt (Abbildung 2).
Die Analyse dieser Marker im Urin ermöglicht es Ärzten, Krebserkrankungen nicht-invasiv zu erkennen und zu überwachen und dabei das natürliche Filtersystem des Körpers für diagnostische Erkenntnisse zu nutzen. Beispielsweise hat sich Urinsediment aufgrund seiner hohen Konzentration an exfolierten Krebszellen als besonders wirksam bei der Erkennung von Blasen- und Gebärmutterhalskrebs erwiesen. Umgekehrt ist Urinüberstand wirksamer bei der Erkennung von Krebserkrankungen außerhalb des Urogenitaltrakts, da er reich an zellfreier DNA ist, die genetische Mutationen und epigenetische Muster trägt, die auf Krebs hinweisen.
Abbildung 2. Urin als Flüssigbiopsie zur Krebserkennung. Urin enthält verschiedene Bestandteile, darunter zellfreie DNA und Zelltrümmer. Zellfreie DNA gelangt über die Nieren in den Urin, während die anatomische Lage der Urogenitalorgane die lokale Ausscheidung von Zellen und DNA in den Urin erleichtert. Quelle: Wever und Steenbergen (2024), Molecular Oncology.
Aktuelle Anwendungen
Urintests wurden hauptsächlich bei urogenitalen Krebserkrankungen, insbesondere Blasen- und Prostatakrebs, untersucht. Die Food and Drug Administration (FDA) hat derzeit mehrere Urintests zur Erkennung und Überwachung von Blasenkrebs zugelassen, jedoch nur einen für Prostatakrebs.
Ein Beispiel für einen Urintest auf Blasenkrebs ist BladderChek, der das Vorhandensein von Kernmatrixprotein 22 (NMP22) im Urin nachweist. NMP22 ist Teil der zellulären Kernmatrix, die in Blasenkrebszellen aufgrund ihrer höheren Stoffwechselrate häufiger abgebaut wird, wodurch mehr NMP22 in den Urin freigesetzt wird. Weitere von der FDA zugelassene Urintests auf Blasenkrebs sind (i) UroVysion zum Nachweis von Chromosomenanomalien, (ii) ImmunoCyt zum Nachweis krebsspezifischer Antigene und (iii) Uromonitor zum Nachweis bestimmter Genmutationen (Abbildung 3).
Die Wirksamkeit dieser Tests ist jedoch nach wie vor durch die hohe Rate falsch positiver Ergebnisse (d. h. Krebs wird erkannt, obwohl keiner vorhanden ist) von 10–20 % eingeschränkt. Daher werden solche Urintests typischerweise dann eingesetzt, wenn die Befunde einer Zystoskopie nicht eindeutig sind. Bei einer Zystoskopie wird eine Kamera in die Harnröhre eingeführt. Dies ist die Standardmethode zur Diagnose von Blasenkrebs. Allerdings ist eine Zystoskopie invasiv, teuer und birgt das Risiko von Schmerzen und Infektionen. Daher ist die Entwicklung nicht-invasiver Alternativen erforderlich, und Urinkrebstests tragen erheblich dazu bei, diese klinische Lücke zu schließen. So zeigte beispielsweise eine klinische Studie aus dem Jahr 2023, dass der Uromonitor-Urintest für Blasenkrebs 42 % der unnötigen Zystoskopien hätte verhindern können.
Abbildung 3. Zeitleiste der verschiedenen von der Food and Drug Administration (FDA) zugelassenen Urintests für Blasenkrebs mit ihren jeweiligen Sensitivitäts- und Spezifitätswerten. Quelle: Humayun-Zakaria et al. (2021), Translational Andrology and Urology.
Progensa PCA3 ist der einzige von der FDA zugelassene Urintest zur Diagnose von Prostatakrebs. Dieser diagnostische Test erkennt die Expression des PCA3-Gens in Urinproben, das in Prostatakrebszellen im Vergleich zu normalen Prostatazellen bis zu 100-fach überexprimiert ist. Der Progensa PCA3-Test hat sich als hilfreich erwiesen, um Patienten auszuwählen, die eher von einer Gewebebiopsie profitieren, wodurch unnötige Eingriffe und Risiken reduziert werden. Klinische Studien haben gezeigt, dass Progensa PCA3-Urintests bis zu 70 % der vermeidbaren Gewebebiopsien bei Prostatakrebs verhindern können, ohne die Früherkennung zu beeinträchtigen.
Obwohl die Gewebebiopsie bei den meisten Krebsarten nach wie vor die Standardmethode zur Diagnose ist, handelt es sich dabei um einen invasiv-invasiven Eingriff, der mit einem kleinen chirurgischen Eingriff vergleichbar ist. Bedenklicher ist, dass bei diesem Verfahren der Tumor direkt durchdrungen wird, wodurch sich manchmal Krebszellen lösen können. Diese Verlagerung birgt ein geringes Risiko für die Ausbreitung von Sekundärtumoren an anderen Körperstellen. Angesichts dieser Risiken sollten Gewebebiopsien nur sparsam durchgeführt werden. Die stetige Verbesserung der nicht-invasiven Urintesttechnologie könnte die Krebsdiagnostik revolutionieren und die Notwendigkeit häufiger Gewebebiopsien verringern.
Neue Forschung und Zukunftsaussichten
In jüngster Zeit hat sich das Interesse an Urintests auf Krebsarten außerhalb des Urogenitaltrakts ausgeweitet, darunter Brust-, Lungen- und Darmkrebs. Es werden außerdem Anstrengungen unternommen, die Probenentnahme und die Analysemethoden von Urinkrebstests zu standardisieren und ihre Genauigkeit zu verbessern. So wurde beispielsweise in einer neuen Studie MyProstateScore vorgestellt, ein Urintest, der 18 verschiedene mit Prostatakrebs in Zusammenhang stehende Gene erkennt. Dieser Test zeigte in klinischen Umgebungen eine beeindruckende Genauigkeit von 95–99 %, eine Leistung, die bei früheren Urinkrebstests nicht erreicht wurde.
Da die Nieren Metaboliten und andere Abfallprodukte aus dem Blutkreislauf filtern, können Biomarker aller im Blut vorhandenen Krebsarten theoretisch im Urin nachgewiesen werden. Daher arbeiten Forscher an der Entwicklung einer Pan-Krebs-Diagnostik auf Blut- oder Urinbasis. Wissenschaftler des US-amerikanischen Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben beispielsweise einen Papierstreifen-Urintest entwickelt, der bis zu 46 verschiedene Krebs-Biomarker auf einem einzigen Streifen erkennen kann. Obwohl diese Technologie noch strengen klinischen Tests unterzogen werden muss, stellt sie einen bedeutenden Fortschritt dar, der die Krebsfrüherkennung bequemer und zugänglicher macht.
„Wir versuchen, Innovationen zu schaffen, indem wir Technologien für Umgebungen mit geringen und mittleren Ressourcen verfügbar machen“, sagte Professor Sangeeta Bhatia, MD, PhD, Bioingenieurin am MIT, in einer Pressemitteilung. „Diese Diagnose auf Papier zu bringen, ist Teil unseres Ziels, die Diagnostik zu demokratisieren und kostengünstige Technologien zu entwickeln, die Ihnen am Behandlungsort schnelle Antworten liefern.“
Urinkrebstests tragen derzeit dazu bei, Krebsdiagnoseprotokolle zu verbessern, indem sie den Bedarf an invasiven Gewebebiopsien reduzieren. Durch weitere Forschung und Verfeinerung sollen Urinkrebstests auch die Krebsfrüherkennung durch die Nutzung der nicht-invasiven Methode der Urinsammlung allgemein zugänglich machen. Stellen Sie sich eine Zukunft vor, in der die Krebserkennung so einfach und routinemäßig sein könnte wie ein rezeptfreier Schwangerschaftstest. Dies würde die beängstigende Aussicht auf eine Krebsdiagnose in einen handhabbaren Teil der regelmäßigen Gesundheitsvorsorge verwandeln.